Jeder Unternehmer/Arbeitgeber, der Flusssäure zu welchem Zweck auch immer betrieblich verwendet, hat eine arbeitsbereichs- und stoffbezogene Betriebsanweisung zu erstellen, in der auf die bei Tätigkeiten mit gefährlichen Stoffen entstehenden Gefahren für Mensch und Umwelt hingewiesen wird. Sie muss u. a. die möglichen Gefahren auflisten und Angaben zu Schutzmaßnahmen, zum Verhalten bei Unfällen und zur ›Ersten Hilfe‹ enthalten. Nachstehend sehen Sie eine Musterbetriebsanweisung, wie sie für jeden Betrieb vorgeschrieben ist:
Betriebsanweisung nach § 14 GefStoffV
Gefahrstoffbezeichnung Flusssäure
HF, Fluorwasserstoffsäure, wässrige Lösung von Fluorwasserstoff
farblose, in Konz. über 70 % rauchende Flüssigkeit; Dämpfe mit stechendem Geruch.
ArbeitsplatzGrenzWert: 1,0 ml/m³ (ppm) bzw. 0,83 mg/m³
CAS-Nr. 7664-39-3
Gefahren für Mensch und Umwelt
Sehr giftig beim Einatmen, Verschlucken und bei Berührung mit der Haut. Verursacht schwere Verätzungen. Durchdringt rasch die Haut und verursacht tiefe, schlecht heilende Gewebszerstörungen. Konz. unter 5 % verursachen deutliche Rötung und Brennschmerz auf Haut; oft auch keine Hautveränderungen feststellbar, Schmerzen treten dann erst nach Stunden auf, Verätzung schreitet dabei die ganze Zeit unbemerkt in tiefere Gewebeschichten fort! Beschwerden können erst nach 1–2 tägiger Latenzzeit auftreten! Bei Einatmen der Dämpfe ist mit schwerer Verätzung der Lunge und Lungenödem zu rechnen; bei Benetzung der Kleidung in Kopfnähe ist immer mit Einatmen von Dämpfen zu rechnen. Bei Augenkontakt Erblindungsgefahr. Bei Verschlucken Gefahr des Magendurchbruchs, Lebensgefahr. Bei Hautverätzung, Verschlucken oder Einatmen von Dämpfen können akut lebensbedrohende Stoffwechselstörungen oder Störungen der Leber- bzw. Nierenfunktionen auftreten. Risiko besteht bereits bei Verätzungen von 50 cm² Haut und jedem Einatmen! Flüssigkeit und Dämpfe greifen Quarz, Silicat- und Boratgläser sowie entsprechende Keramiken an. Zahlreiche Metalle, z. T. auch Edelstahl (z. B. V2A), werden besonders in Wärme unter Entwicklung von hochentzündlichem Wasserstoff gelöst bzw. angegriffen. Als beständige Werkstoffe gelten Monel, Inconel, Nickel und Kupfer, Polyethylen, Polypropylen, PVC und PTFE. Gefährliche Reaktionen u. a. mit Fluor, Kaliumpermanganat, Siliciumverbindungen, Alkalimetallen, Wismutsäure und Laugen bzw. Hydroxiden. Stark wassergefährdend, nicht ins Abwasser gelangen lassen!
GHS-Kennzeichnungselemente
Gefahrenhinweise:
H300: Lebensgefahr bei Verschlucken.
H310: Lebensgefahr bei Hautkontakt.
H330: Lebensgefahr bei Einatmen.
H314: Verursacht schwere Verätzungen der Haut und schwere Augenschäden.
Sicherheitshinweise:
P260: Staub/Rauch/Gas/Nebel/Dampf/Aerosol nicht einatmen.
Reaktion:
P301+P310: Bei Verschlucken: Sofort Giftinformationszentrum oder Arzt anrufen.
P303+P361+P353: Bei Kontakt mit der Haut (oder dem Haar): Alle beschmutzten, getränkten Kleidungsstücke sofort ausziehen. Haut mit Wasser abwaschen/duschen.
P305+P351+P338: Bei Kontakt mit den Augen: Einige Minuten lang behutsam mit Wasser spülen. Vorhandene Kontaktlinsen nach Möglichkeit entfernen.
Weiter spülen.
P310: Sofort Giftinformationszentrum oder Arzt anrufen.
P320: Besondere Behandlung dringend erforderlich (siehe auf diesem Kennzeichnungsetikett)
P361: Alle kontaminierten Kleidungsstücke sofort ausziehen.
Lagerung:
P405: Unter Verschluss aufbewahren.
Entsorgung:
P501: Entsorgung des Inhalts/des Behälters gemäß den örtlichen/regionalen/nationalen/internationalen Vorschriften.
Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln
Prüfen, ob der Stoff durch einen weniger gefährlichen Stoff oder niedriger konzentrierte Lösung ersetzt werden kann! Ausschließlich im geschlossenen System oder unter funktionsfähigem Abzug mit möglichst geschlossenem Frontschieber handhaben. Vorrat weitestgehend auf Tagesbedarf bzw. ein Gebinde beschränken, möglichst kleine Gebinde verwenden. Zur Entnahme Fertigsysteme oder geeignete Dispenser verwenden, offenes Umfüllen vermeiden! Zum Verdünnen langsam unter Rühren in Wasser einlaufen lassen, niemals umgekehrt! Vorratsbehälter, Abfallbehälter und ungereinigte Leergebinde stets dicht geschlossen halten und kühl, vor Sonneneinstrahlung geschützt, abseits von reaktionsfähigen Stoffen, an gut belüftetem Ort (z. B. Kleinmengen im laufenden Abzug, ansonsten im abgesaugten Säureschrank oder Lagerraum) aufbewahren. Nicht in Sicherheitsschränken aus Metall abstellen, Korrosionsgefahr im Schrank, Gefahr des Versagens von Sicherheitsfunktionen. Zugriff für Unbefugte bzw. nicht unterwiesene Personen (z. B. Reinigungskräfte, ggf. auch Studierende) darf nicht möglich sein! Im Arbeitsraum muss leicht erreichbare Augennotdusche vorhanden sein. Eine Notdusche muss schnell erreichbar sein! In Nähe zum Arbeitsbereich Atemschutz, spezielle Erste-Hilfe-Materialien (siehe unten) und Merkblatt der BG Chemie M005 Ausg. 12/2018 „Fluorwasserstoff, Flusssäure und anorganische Fluoride“ bereithalten! Jeglichen Körperkontakt vermeiden, Schutzausrüstung benutzen:
Augenschutz: Dicht schließende Schutzbrille (Korbbrille) mit Kunststoffgläsern, auch für Sehbrillenträger! Zusätzlich Gesichtsschutzschirm sinnvoll.
Handschutz: Lange Chemikalienschutzhandschuhe aus Neopren, Polychloropren oder Butylkautschuk tragen, vor Anwendung auf Dichtigkeit prüfen. Achtung: Beständigkeit je nach Konz. unterschiedlich, Informationen einholen! Chemikalienschutzhds. aus Latex oder Nitrilkautschuk sind gegenüber konz. Flusssäure nicht beständig! Einmalhandschuhe sind vollkommen ungeeignet!
Atemschutz: Bei Freiwerden von Dämpfen/Gasen (z. B. im Gefahrfall) Vollschutzmaske mit Gasfilter E2-P2 (Kennfarbe gelb/weiß), ersatzweise auch B2-P2 (grau/weiß).
Hautschutz: Vorbeugender Hautschutz erforderlich. Hände und unbedeckte Hautpartien, insbes. an Unterarmen, vor Arbeitsbeginn mit Hautschutzmittel gegen wasserlösliche Stoffe (W/O-Emulsion) eincremen. Vor Pausen und nach Arbeitsende Hautpartien waschen, regelmäßig Hautpflegemittel verwenden.
Kleidung: Auch bei hohen Raumtemperaturen geschlossene Schuhe, lange Hose und Laborkittel mit langen Ärmeln tragen! Bei Vorhandensein größerer Mengen für Notfallmaßnahmen Gummisschürze und Gummistiefel bereithalten.
Verhalten im Gefahrfall
Verschütten geringer Mengen: Vergiftungs- und Verätzungsgefahr bei Einatmen von Dämpfen oder bei Hautkontakt. Keine Maßnahmen bei Eigengefährdung, ggf. Feuerwehr alarmieren („Flusssäureunfall“). Unbeteiligte Personen müssen den Bereich verlassen. Für gute Lüftung sorgen. Schutzausrüstung und Atemschutz anlegen, ggf. auch Gummistiefel und Gummischürze. Flüssigkeit sofort mit Chemikalienbinder oder säurebindendem Material (z. B. Kalksteinmehl) abdecken, vorsichtig mit Kunststoffschaufel aufnehmen und dicht verschlossen in Kunststoffbehälter zum Sondermüll. Mit viel Wasser nachreinigen.
Verschütten größerer Mengen oder unklare Verhältnisse: Der aus Flüssigkeit ausgegaste Fluorwasserstoff kann in solchen Konzentrationen auftreten, daß Atemschutzmaske mit Gasfilter keinen sicheren Schutz mehr bietet. Auch besteht Verätzungsgefahr der ungeschützten Haut durch die Dämpfe. Sicheren Schutz bieten hier dichte Chemikalienschutzanzüge mit umgebungsluftunabhängigem Atemschutz (Pressluftatmer). Deshalb Gefahrenbereich umgehend räumen lassen und sofort Feuerwehr alarmieren („Flusssäureunfall“). Umliegende Arbeitsbereiche auf Gefährdung hinweisen. Gefahrenbereich mit Gasfilter-Atemschutz nur dann zügig betreten, wenn evtl. Person gerettet werden muss.
Erste Hilfe
Nach Augenkontakt: Sofort unter fließendem Wasser bei gespreiztem Lid unter Schutz des unverletzten Auges (Augennotdusche) mind. 15 Minuten spülen. Unverzüglich Notruf!
Nach Hautkontakt: Sofortiges Handeln ist vordringlich und kann lebensrettend sein! Parallel zu den Maßnahmen unverzüglich Notruf absetzen! Unverzüglich mit sehr viel Wasser abwaschen, am besten mit Notdusche! Dann in die betroffene Haut Anti-Flusssäure-Gel (Calciumgluconat-Gel) bis Schwinden des Schmerzes einmassieren. Der Calciumgluconatbrei soll zwischenzeitlich mit Wasser abgespült werden und durch neues Gel ersetzt werden. Notruf: 112 Nach Schmerzfreiheit Fortsetzen der Massage mit Calciumgluconatgel für weitere 15 Minuten. Statt Calciumgluconatgel: Nach Abspülen der Haut Auflegen eines nassen Umschlages mit 10 %iger Calciumgluconatlösung, hierfür 10-ml-Calciumgluconatampullen bereithalten und verwenden. 50 ml (5 Ampullen) genügen für eine 15 x 15 cm Kompresse.
Bei großflächigen Verätzungen: Vollständige Entfernung der Kleidung unter fließendem Wasser (Notdusche!). Nach Möglichkeit Schwalldusche mit mehr als 100 l/min. Helfer müssen säurefeste Handschuhe und Schutzbrille tragen! Nach gründlichem Abspülen Calciumgluconatkompressen auflegen.
Nach Einatmen: Sofortiges Handeln ist vordringlich und kann lebensrettend sein! Parallel zu Maßnahmen unverzüglich Notruf! Aus Gefahrenbereich bringen, auf Selbstschutz achten.
Achtung, auch bei subjektiver Beschwerdefreiheit sollte der Verletzte nicht selbst gehen, sondern getragen (Krankentrage) oder gefahren werden. Lagerung liegend mit erhöhtem Oberkörper! Unmittelbar nach Unfall, auch bei fehlenden Krankheitszeichen, Beclometason-Dosieraerosol (z. B. Junik 100 µg Autohaler, Beclomet Easyhaler, …) inhalieren lassen: 5 Hübe alle 10 Minuten bis zum Eintreffen des Arztes. Richtige Handhabung beachten (Kopfhaltung, Ein- und Ausatemphase)! Weitere Behandlung nach ärztlicher Anordnung. Bei Atemstillstand Beatmung möglichst mit Gerät, auf jedem Fall Einatmen von HF aus Ausatemluft vermeiden.
Nach Verschlucken: Sofortiges Handeln ist vordringlich und kann lebensrettend sein! Parallel zu Maßnahmen unverzüglich Notruf! Sofort Mund kräftig ausspülen, reichlich Wasser in kleinen Schlucken trinken lassen, nach Möglichkeit 1 %ige Calciumgluconatlösung. Niemals Erbrechen anregen! Für Körperruhe sorgen, vor Wärmeverlust schützen.
Nach Kleidungskontakt: Kontaminierte Kleidung sofort ablegen. Immer von Hautkontakt ausgehen, siehe Erste-Hilfe-Hautkontakt! Bei Kleidungskontakt in Kopfnähe immer von Einatmen ausgehen, siehe Erste-Hilfe Einatmen.
Weiterer Hinweis: (Not-)Arzt Merkblatt der BG Chemie M005 Ausg. 12/2018 „Fluorwasserstoff, Flusssäure und anorganische Fluoride“ und Betriebsanweisung aushändigen!
Wer mit Flusssäure arbeitet und auf der Kleidung oder Haut Flüssigkeit bemerkt, soll sich so verhalten, als sei dieses Flusssäure (Prüfung mit pHPapier). Auch bei scheinbar geringfügigen Verätzungen muss immer ein Arzt aufgesucht werden! Treten verspätet (Latenzzeit oft 1–2 Tage!), z. B. zu Hause, Beschwerden wie z. B. verstärkter Hustenreiz oder Schmerzen an Hautpartien auf, die auf Flusssäureeinwirkung zurückgeführt werden können, ist unverzüglich nächstes Krankenhaus aufzusuchen und auf „Flusssäure“ hinzuweisen.
Sachgerechte Entsorgung
Reste und verunreinigte Leergebinde als Sondermüll entsorgen!